Ist es doch irgendwann zu spät für eine glückliche Kindheit?

glückliche Kindheit

Quelle: www.Pixabay.com

Kennst Du den Spruch: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“? Als systemischer Therapeut, dem Konstruktivismus nahe, habe ich diesen Satz lange für sehr wichtig und richtig gehalten. Schließlich bestimmt vielfach hauptsächlich das, was wir an „Geschichten“ aus unsere Kindheit über uns mitbringen, unseren Umgang mit ihr und uns selbst. „Geschichten“ kann man zum einen auch immer wieder anders erzählen und zum anderen erlauben sie immer auch die Suche nach Ressourcen. Insoweit kann jede Kindheit nachträglich auch als „glücklich“ erzählt werden. Insofern ist es nie zu spät für eine glückliche Kindheit. Das könnte den Schluss nahe legen, dass es in der Kindheit nichts zu versäumen gibt. Das man alles aus dieser Zeit nachholen bzw. nachträglich „nach erzählen“ kann. Meine Entwicklung und Erkenntnisse aus den letzten Monaten bringen mich jetzt aber dazu, es komplett anders zu sehen… 

Gute Vorsätze

Ich hatte mir für dieses Jahr viel vorgenommen.  Ich wollte für beide Blogs jeden Monat einen Beitrag schreiben und für jeden einmal im Monat einen Newsletter heraus bringen. Aber was noch viel wichtiger war, ich wollte als neue Plattform Youtube für mich erobern und regelmäßige Videos drehen und posten. Dafür habe ich mich bei Robert Gladitz Youtube Kurs angemeldet.  Ausserdem habe ich mir im Januar einen Wunsch erfüllt und mich endlich dazu entschlossen, mich bei Veit Lindaus Human Trust anzumelden. Eine Vernetzungsplattform, auf der man auch Videoseminare von ihm mitmachen kann. Ich habe finanziell einiges investiert. Ich wollte es endlich wissen…

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Spätestens im März musste ich mir eingestehen, dass ich von meinen guten Vorsätzen NICHTS umsetzen konnte. Und zwar nicht nur hier und dort ein wenig davon nicht, sondern wirklich radikal nichts… Ich habe gerade im Januar noch einen Newsletter raus gebracht. Bei Roberts Kurs habe ich mir gerade mal die Einführungsvideos angesehen. Beim Human Trust habe ich im Februar an einem Treffen der Regional Gruppe in Bremen teilgenommen und mich auf der Plattform für alle möglichen Kurse angemeldet… gemacht habe ich keinen davon und zu den monatlichen Treffen bin ich auch nicht mehr gegangen.

Mir wurde klar, dass ich mich komplett übernommen hatte. Wollte ich meine Vorsätze wirklich umsetzen, blieb mir neben meinem Vollzeitjob und Paarberatungen in der Praxis meiner Frau kaum noch Zeit für die angenehmen Dinge im Leben, wie Partnerschaft, Erholung, Freizeit und Entspannung.  Was nicht bedeutet, dass mir die Arbeit an meinen Blogs usw. keinen Spass macht… Aber es gibt im Leben eben auch noch mehr, das wurde mir schmerzlich klar…

Fragen über mich…

Ich begann, mich zu zurück zu ziehen und mir Fragen über mich und meine Situation zu stellen. Der erste schmerzliche Schritt war die Erkenntnis der Überforderung. Ich, der von mir immer geglaubt hatte, ich schaffe alles. Ich musste erkennen, dass ich meine Grenze(n) erreicht hatte. Aber wie war ich an diesen Punkt gekommen? Was hat mich hierher gebracht? Wieso bin ich innerlich so getrieben? Wieso kann ich mit meiner Lebenssituation, so wie sie ist, nicht zufrieden sein? Wieso bin ich nicht einfach glücklich, mit dem, wie es ist? Ich habe einen tollen Job, den ich mir immer so gewünscht habe, wie er jetzt ist.  Auch privat ist alles gut. Die Kinder sind groß und erwachsen, keine Verpflichtungen mehr, genug Zeit für die angenehmen Dinge. Warum kann ich nicht einfach damit zufrieden und glücklich sein? Warum „muss“ ich noch Blogs schreiben, den Menschen meine Erkenntnisse nahe bringen und warum lasse ich mich von diesem Gedanken, NOCH mehr erreichen zu können und ENDLICH MEIN Ding zu machen und damit auch noch Geld verdienen zu können, so anlocken, dass ich im wahrsten Sinne Zeit und Raum vergesse?! Und ich begann, meine Motive zu hinterfragen.

„…dann habe ich es geschafft!“

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Dabei fiel mir auf, dass ich mich oft von diesem Satz leiten lasse: „Wenn ich das noch erreicht habe, dann habe ich ES geschafft!“ Und ich wollte wissen, was das denn ist, WAS ich DANN geschafft habe… Bin ich dann berühmt? Lebe ich dann so, wie ICH es will? Bin ich dann reich? Bin ich dann frei? Habe ich dann der Welt etwas Wesentliches hinterlassen? Bin ich dann erleuchtet oder weise? WAS will ich denn schaffen?

Mir wurde klar, dass es mir nicht so sehr um diese Äußerlichkeiten (Geld, Anerkennung, Reichtum…) geht, sondern um etwas Inneres. Das Gefühl, es geschafft zu haben, geht für mich mit dem Gefühl einher, bei MIR angekommen zu sein. In mir selbst ruhen zu können und in tiefer Übereinstimmung zu sein mit dem, was ich tue. Vielleicht habe ich mich deshalb immer wieder mit den Themen Berufung, Lebensaufgabe und Entwicklungsaufgaben beschäftigt. Immer wieder vor dem Hintergrund, mehr über mich wissen zu wollen und mit der Idee im Kopf, wenn ich meine Berufung, meine Lebensaufgabe gefunden habe, DANN kann ich angekommen. Dann erfülle ich (nur noch) diese eine Aufgabe und dann lebe ich glücklich, erfüllt und zufrieden. Oder ich weiss dann zumindest, welchen Weg ich einschlagen muss, um dieses Ziel zu erreichen.

Mal abgesehen davon, das das nicht so einfach ist, diese Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen (heisst ja nicht umsonst „Lebensaufgabe“) zeigte mir diese Erkenntnis aber, dass es mir um mehr geht als um äussere, greifbare und messbare Kriterien bzw. Ziele.

Bei mir ankommen

Was bedeutet dieses Gefühl, bei mir angekommen zu sein, für mich? Über den „äusseren“ Erfolg hinaus. Wie fühlt sich das an?

Für mich scheint es gleichbedeutend zu sein mit: die eigenen Bedürfnisse kennen und mit ihnen im Einklang leben, sich von äusserer Kritik oder Konflikten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, zentriert sein, letztendlich sich getragen, beschützt und gut aufgehoben fühlen. Und plötzlich wurde mir klar, dass dieses Bedürfnis, bei mir selbst anzukommen, das gleiche Bedürfnis ist, wie das eines Kindes, in den liebevollen, beschützenden und haltenden Armen seiner Mutter „anzukommen“. Ohne Erwartungen, ohne Bedingungen erfüllen zu müssen, ohne angepasst sein müssen, einfach gewollt, gehalten und geliebt werden. Bedingungslose Liebe spüren…

Und mit einem mal tut sich vor mir das ganze Ausmass meiner kindlichen Bedürftigkeit auf. Mir wurde klar, das diese ganze Suche, dieses ganze sich mit mir auseinandersetzen, dieses Verändern von äusseren Umständen, die ganze Unruhe…, letztlich hat all das nur das eine Ziel: das kindliche Bedürfnis, das Gefühl geschenkt zu bekommen, in den haltenden Armen der liebevollen Mutter anzukommen. Ich scheue mich fast vor diesem „pathetischen“ Ausdruck, aber es entspricht meiner Erfahrung:

„Jede Suche findet letztlich Ihr Ende in den schützenden und haltenden Armen einer liebenden Mutter.“

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Wirtschaftlicher Erfolg und wirtschaftliche Absicherung „ersetzen“ mir den dort erhofften Schutz und Halt; menschlicher Erfolg und Anerkennung „ersetzen“ mir den Stolz in den Augen meiner Mutter; die unruhige Suche, die Beschäftigung mit meinen Bedürfnissen, das „Suchen im Aussen“, sucht und erhofft sich letztlich immer die spiegelnde Reflexion und Antwort in den Augen meiner Mutter: „Was Du tust ist in Ordnung und ich liebe Dich, unabhängig von meinen Gefühlen und Erwartungen an Dich.“

Was ist „verkehrt“ gelaufen?

Aber wieso sollte mir das fehlen? Was ist in meiner Kindheit „falsch“ gelaufen?! Von aussen gesehen hatte ich eine perfekt glückliche Kindheit. Es war alles da. Eine liebevolle Umgebung, Freunde, wirtschaftlicher Wohlstand, Stabilität… ich wurde weder geschlagen noch missbraucht oder sonst wie traumatisiert. Wie lässt sich dann diese Unruhe, die dauernde Suche, diese Leere und diese Bedürftigkeit erklären? Und vor allem, WAS läßt sich dagegen tun?!

Kriegsenkel und das Erfüllen von Erwartungen

Die ersten Antworten fand ich, als ich mich mit dem Thema „Kriegsenkel“ und der Weitergabe von Traumatisierungen über Generationen hinweg auseinander setzte. Da gab es Menschen, die ähnliche Empfindungen schilderten, wie ich sie in meinem Leben immer wieder durch lebte. Auch sie waren ständig auf der Suche… nach dem Sinn, nach der Heimat, nach sich selbst… Auch sie konnten nicht „ankommen“. Nicht bei sich und nicht in diesem Leben.

Die Erklärung hinter diesem Phänomen ist, dass die Generation der Kriegskinder emotional durch die Kriegserlebnisse traumatisiert, mehr damit beschäftigt war, die realen Trümmer weg zu räumen und Aufbauarbeit zu leisten, als sich mit der emotionalen Traumatisierung durch den Krieg auseinander zu setzen. Dafür bekamen deren Kinder, also die Kriegsenkel, die Funktion der emotionalen Stütze zugewiesen. Diese Kinder waren/sind die ganze Freude, der Stolz und die Hoffnung dieser Generation. Ihre Aufgabe ist es, die (emotionalen) Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Daraus entsteht dann bei vielen Kriegsenkeln das Gefühl der inneren Leere bzw. eine innere Orientierungs- und Haltlosigkeit. Weil für sie immer die Gefühle und die Erwartungen der Eltern die Leitlinie und die Orientierung gaben.

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Gemeinsam ist allen diesen „Kriegsenkeln“, dass in den Familien über die traumatischen Kriegserlebnisse nicht gesprochen wurde. So war es in meiner Kindheit auch. Meine Eltern habe beide den Krieg als fast erwachsene Jugendliche durchlebt. Mein Vater als Soldat, meine Mutter als Helferin in verschiedenen Lazaretten. Beide haben Geschwister im Krieg verloren, mein Vater musste sich als ältester Sohn um seine Mutter und die jüngeren Brüder kümmern. Sein Vater war schon vor dem Krieg an einer natürlichen Todesursache gestorben.  Beide haben sicherlich vieles, Verstörendes und traumatisierendes erlebt. Geredet wurde darüber wenig bis garnicht. Was soll es da schon zu reden geben? Es war eben so, wie es war. Und daran wollen wir nicht erinnert werden. Jetzt ist ja alles gut.

Geblieben ist aber bei meinen Eltern ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und materieller Absicherung. Mein Vater fragte mich bei meiner ersten Anstellung als erstes, ob der Arbeitgeber auch eine private Rentenversicherung mit anbietet. Das war das Wichtigste. Schon bei der ersten Stelle an die Rente denken und am besten noch im öffentlichen Dienst. Sicherheit auf Lebenszeit. Genauso gab es die Erwartung, meinen Eltern keine Sorgen zu machen und „brav“ zu sein, Freude zu machen. Und das durchaus auch in einer existenziellen Form. Meinen Eltern konnte es nur gut gehen, wenn sie wussten, dass ihre Kinder einen „guten“ Weg gingen. Abweichungen wurden mit Liebesentzug bis zum Kontaktabbruch bestraft. Auch jetzt noch gibt es bei ihnen die Erwartung, das ihre Kinder für die Eltern da zu sein haben, sie zu unterhalten und emotional zu unterstützen haben.

Der „Lilith-Komplex“

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Die Erklärung durch die Weitergabe von Kriegstraumata reichte mir aber noch nicht. Es musste noch was anderes geben, etwas was „tiefer“ geht. Zu grundsätzlich waren meine Gefühle und Empfindungen. Ich fand eine weitere Erklärung eher zufällig in dem Buch „Der Lilith-Komplex“ von Hans-Joachim Maaz. Der Autor beschreibt darin, dass es in jeder Mutter auch eine das Kind ablehnende Seite gibt, dass diese aber gesellschaftlich tabuisiert und von der Mutter meist geleugnet wird. Dadurch ist sie nicht zu bearbeiten und belastet die frühe Mutter-Kind-Beziehung. Denn die negativen Gefühle dem Kind gegenüber können so von der Mutter unbewusst auf das Kind projiziert werden und wirken sich dann auf das Kind aus. Maaz drückt es so aus:

„Durch seine Mutter, aus ihren Reaktionen, lernt das Kind, sich zu verstehen. Die Mutter übersetzt noch dunkles Empfinden in Gefühle, Bilder und Worte; sie lehrt zu differenzieren. Aber wehe, wenn ihr Spiegel verzerrt, ihre dolmetschenden Fähigkeiten beschränkt sind, dann kann sich ihr Kind nicht mehr in ihr erkennen und wird sich selbst verlieren.“

Genau das war es… Das musste es sein…  Mir fallen viele Gründe ein, warum dieser Spiegel in der Beziehung zwischen meiner Mutter und mir „verzerrt“ sein könnte. Ohne dass ich meine Mutter damit „schlecht“ machen oder ihr Vorwürfe machen möchte. Alleine Gesellschaftliche Gründe können zu dieser Verzerrung geführt haben…  Die Tatsache, dass man Kinder in den 60er Jahren „aus hygienischen Gründen“ nicht stillte, z.B. Vermutlich gab es damals auch „Fütterpläne“ und feste Zeiten, in denen die Bedürfnisse des Kindes keine Rolle spielten.  Und auch sonst spüre ich, dass es in der Beziehung zu meiner Mutter mehr um ihre Bedürfnisse gegangen ist, als um meine. Meine „Aufgabe“ als Kind war es, sie glücklich zu machen. Das habe ich schon früh gespürt. Und schon während ich dies schreibe, kommt das schlechte Gewissen: „So etwas schreibt man nicht über seine Mutter, schon garnicht öffentlich! Schäm Dich, Du bist ein schlechtes und undankbares Kind!“

Meine Suche nach Bestätigung im aussen, meine Rastlosigkeit, meine innere Haltlosigkeit, all das ergibt vor dem Hintergrund dieser Hypothesen plötzlich einen Sinn. Meine Suche soll diese oben beschriebene Erfahrung ersetzen: mich selbst im positiven Feedback (Erfolg) von Aussen vermeintlich selbst erkennen können, um damit die innere Leere zu überdecken bzw. die Angst beruhigen zu können, diese innere Leere plötzlich anzutreffen, zu entdecken. Die schmerzliche Erfahrung machen zu müssen, dass bei diesem eigentlich ersehnten „Ankommen bei mir“ garnichts zu finden ist, wo man „ankommen“ könnte. Einfach nur eine gähnende Leere…

Der Ur-Schmerz

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Ob es nun darum geht, diese innere Leere zu überdecken oder zu verhindern, den Schmerz zu spüren, dass der erkennende und liebende Blick der Mutter, die haltenden und gleichzeitig loslassenden Arme nicht mehr zu bekommen ist, für immer verloren sind… Immer dient die Suche, die Unruhe, der nächste Kick, das nächste Projekt, der nächste zu erzielende Erfolg dazu, diesen Ur-Schmerz nicht fühlen zu müssen.

Diese unbedingte Vermeidung, diesen Schmerz spüren zu müssen, spiegelt sich auch in meinen aktuellen Beziehungen zu erwachsenen Menschen wieder. Immer dann, wenn es darum geht, eigene Bedürfnisse in erwachsenen Beziehungen auf Augenhöhe zu vertreten, besteht auch die Gefahr, abgewiesen zu werden. Das bringt das Verhandeln von Bedürfnissen auf Augenhöhe mit sich. Warum sollten meine Bedürfnisse wichtiger sein als die Bedürfnisse des anderen? Diese Gefahr der „Ablehnung“ bringt mich aber unvermeidbar wieder in den Kontakt mit meinem Ur-Schmerz. Denn es gibt im Aussen niemanden (mehr), der meine Bedürfnisse, ohne dass ich sie formuliere, von sich aus erkennt, und auch noch für deren Erfüllung sorgt. Das ist einzig und allein Aufgabe und Rolle der Mutter. Und damit gehört diese Erwartung, diese Anspruchshaltung, bei der ich mich immer wieder „erwische“, in die Mutter-Kind-Beziehung, nicht in die Beziehung mit einem Erwachsenen auf Augenhöhe. Und trotzdem dient mein Ganzes „Erwartungen erfüllen“, „helfen wollen“, „der gute Junge sein“, „erfolgreich sein“… alles was ich für andere tue, letztlich nur der Untermauerung der Forderung, dass ICH dann doch irgendwann auch einmal „dran“ sein darf, wenn ich schon so viel getan habe… die Haltung eines Märtyrers…

Das Paradoxe daran ist, dass ich durch den eigentlichen Wunsch der Vermeidung, diesen Schmerz spüren zu müssen, ihn immer wieder erlebe bzw, ihn immer wieder lebendig werden lasse. Denn natürlich misslingen meine Manipulationsversuche immer wieder und immer öfter. Und halten damit den Schmerz, den ich eigentlich nie spüren will, lebendig. Aber dieses unbewusste Vorgehen erlaubt mir, die „Schuld“ für den Schmerz auf andere zu projizieren und macht damit eine Verarbeitung unmöglich…

Was hilft nun?

Es klingt wie eine „Phrase“, aber durch meine Erfahrungen habe ich die Wahrheit dieses Satzes kennen gelernt:

„Der einzige Weg da RAUS, ist der Weg da DURCH!“

Es geht darum, immer wieder zu erkennen, wo die Erfahrung dieses Schmerzes verhindert werden soll, und ihn sich dann voll bewusst zu machen und zu durchleben. Mit all den negativen Gefühlen von Trauer und Wut. Aber ohne sich von diesen Gefühlen mitreißen zu lassen, ohne sie immer wieder mit Energie zu versorgen, aber sie zuzulassen und zu durchleben. Dabei kann professionelle Hilfe nötig und hilfreich sein.

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Ohne dieses Leid, ohne diesen „Gang in den Keller“, ohne die Konfrontation mit Deinem Schatten, gibt es keinen wirklichen Fortschritt, keine Entwicklung. Vielleicht spielst Du das Spiel dann eine Weile auf einer anderen Ebene weiter, aber es bleibt das gleiche Spiel. Früher oder später gelangst Du wieder an den gleichen Punkt… Die zwanghafte Vermeidung des Ur-Schmerzes.

Da ich selber noch mitten in diesem Prozess des „dadurch“ bin, kann ich Dir noch nicht sagen, was danach kommt. Das wäre an dieser Stelle vermessen… Aber ich werde meine Erfahrungen bestimmt wieder teilen :-)

Es gibt in der Coaching und Selbsthilfe-Literatur verschiedene, vermeintliche Auswege oder Abkürzungen, die vorgeben, das gleiche Ergebnis zu erzielen, wie das immer wieder bewußte Durchleben des Schmerzes:

1. Ausweg „Selbstliebe“

Es gibt Autoren, die sind an dieser Stelle der Meinung, man könne „einfach“ die Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse übernehmen und „selber“ dafür sorgen soll und kann, dass man für sich selber dann „die liebende Mutter“ wird, um die „Lücke“ füllen zu können und den Schmerz zu stillen.

Selbstliebe und Selbstfürsorge sind wichtig, gar keine Frage. Aber sie sind kein Ausweg aus dem oben genannten Schmerz. Warum? Wenn ich den Schmerz nicht annehme und ihn durch lebe, wird aus vermeintlicher „Selbstliebe“ schnell „Egoismus“, weil ich der Meinung bin, es gäbe ein „Recht“ auf die Erfüllung meiner Bedürfnisse. Sie wurden mir schon so lange vorenthalten, dann „kämpfe“ ich jetzt für sie unter der Flagge der „Selbstliebe“ für sie und setze sie durch, egal, welchen Preis ich dafür bezahle.

Das hat nichts mit Souveränität, mit bei sich ankommen und Zentriertheit zu tun. Das ist nur eine andere Ebene des Kampfes.

2. Ausweg: „Arbeit mit dem inneren Kind“

Ähnlich verhält es sich mit dem vermeindlichen Ausweg „Arbeit mit dem inneren Kind“. Ich nehme den bedürftigen, kindlichen Anteil in mir wahr und umsorge ihn selber… Das kann funktionieren, aber auch erst dann oder nur dann, wenn ich dieses Kind auch in seiner Trauer oder Wut umsorge und eben NICHT dafür sorge, dass dieses Kind in mir diese Trauer und diesen Schmerz garnicht erst fühlen muss. Genauso fatal wäre es, dem inneren Kind zu erlauben, diese lange unterdrückten Gefühle nun endlich „auszuleben“.

Dann habe ich nichts gewonnen, ausser das ich ein neues Argument für meinen Egoismus habe: „mein inneres Kind braucht das jetzt…“

3. Ausweg: „Mach Dein Ding!“

Zum Abschluss noch ein Wort an all die Mach-Dein-Ding-Coaches, die Du-schaffst-das-Propheten, die Glaub-an-Dich-Schulterklopfer und die vielen Coaches und Speakers, die die schnelle Lösung mit all ihren tollen Methoden in Vorträgen und Seminaren mit tausenden von Menschen von der Bühne in die Welt schreien…

Ihr berührt nur die Oberfläche und verursacht leichtes Kräuseln der Wellen. In die Tiefe kommt ihr nicht…

Ich bin der erste, der will, dass Menschen in ihre Kraft kommen. Ich bin der erste, der Menschen ermutigen will, ihr Potential auszuleben, ihre Ressourcen zu stärken und ihren Weg zu gehen. Es ist wundervoll, Menschen erblühen zu sehen, garkeine Frage. Und ich selber habe bei Euch eine Menge gelernt. Vielen Dank dafür!

Aber ich kann erst wirklich „erfolgreich“ werden, wirkliche Erfüllung, wirkliche Kraft finden und mein Potential abrufen, wenn ich diesen Ur-Schmerz, den jeder für sich anders wahr nimmt und der für jeden anders aussieht, wenn ich den finde, erkenne, durchlebe und verarbeite. Sonst ist alles Handeln, alle Veränderung, nur ein leichter Wind auf der Wasseroberfläche, der für kurzen Wellenschlag sorgt, das Meer aber unverändert lässt. Die Wahrheit, der Schatz, liegt in der Tiefe. Und dieser Weg geht nicht ohne Schmerzen, dass ist die „Wahrheit“, die Ihr Euren Zuhörern und Kunden verheimlicht. Schneller Erfolg, schnelle Veränderung, ist genauso schnell wieder verweht….

„Wirkliche Veränderung findet IMMER in INNEN statt, nie im Aussen. Das Äußere passt sich dem Inneren an.“

glückliche Kindheit

Quelle: privat

Und in diesem Sinne IST es zu spät für eine glückliche Kindheit. Der Ur-Schmerz sagt Dir, dass sie vorbei ist und das all das, was Du Dir dort erträumt und ersehnt hast, niemals wieder kommen wird. Das „Loch“ wird bleiben. Und diese Erkenntnis tut weh, bei allen Ressourcen-orientierten Blickwinkeln und Umdeutungen.

Zum Schluss

Ich danke Dir, dass Du meinen Gedanken bis hierher gefolgt bist. Ich freue mich, wenn sie Dich unterhalten haben und natürlich noch mehr, wenn Du etwas davon für Dich persönlich mitnehmen konntest.

Kennst Du diesen „Ur-Schmerz“ auch? Oder hälst Du meine Gedanken für Quatsch? Was treibt Dich an? Was denkst Du über meine Gedanken? Lass es mich in einem Kommentar wissen :-)

Teste Dein Leben!

Test Titel

Führst Du ein erfülltes Leben?

Mit meinem ausführlichem Test erfährst Du, welche Entwicklungsaufgaben Deinem erfülltem Leben noch entgegen stehen. Einmal im Monat gebe ich Dir dann konkrete Hinweise zur Erfüllung Deiner jeweiligen Entwicklungsaufgaben.

Wenn Du Dich einträgst, bekommst Du eine Bestätigungsmail von mir mit mehr Informationen. Deine Daten sind bei mir sicher. Mehr

2 thoughts on “Ist es doch irgendwann zu spät für eine glückliche Kindheit?

  1. Renate Eberle Pahl

    Dein Bericht ist sehr interessant und nach einigem Nachdenken über mich und meine Freunde mit kleinen “ Macken“ kann ich alles voll und ganz bestätigen. Ständig läuft man „etwas“ hinterher , oder vor „etwas“ davon, wird menschenfreundlich oder feindlich, extrovertiert oder introvertiert und immer liegt es in der Kindheit begründet. Manche wissen es, andere wollen es nicht wissen, aber irgend etwas macht sie unruhig, innerlich, auch wenn sie es “ geschafft“ haben.
    Ein Rezept für die innere Ruhe habe ich auch noch nicht gefunden, aber mit dem Alter lässt die Kraft nach, das zwingt dann zur Ruhe und größerer Gelassenheit.
    Noch ein Wort zu den glücklichen, liebevoll umsorgten Kindern, wenn denen im Leben etwas übles passiert, kommen sie überhaupt nicht zurecht , sie landen beim Psychiater oder bringen sich um, das habe ich auch mehrmals erlebt. Also sei nicht traurig, niemand hat ein Anrecht auf Glück und Liebe, man muss schon ein wenig selbst dafür sorgen.
    Danke für deine klugen Worte.
    Alles Gute für dich , deine Gesundheit und mehr Gelassenheit.

    • Hans-Jürgen Lahann

      Liebe Renate,
      vielen lieben Dank für Deinen netten Kommentar! Den Aspekt mit dem Alter finde ich auch wichtig. Ja, dann lassen die Kräfte nach und der Körper macht einen auch mehr aufmerksam auf die seelischen Themen, in dem er durch Schmerzen und Krankheiten für Aufmerksamkeit und Rückzug sorgt. Ein wertvolles Geschenk für die Reise nach Innen :-) Ich weiss nicht, ob es ein Missverständnis gibt… Mir ging es nicht um „liebevoll umsorgt“. Das können sicherlich viele von sich behaupten. Ich selber auch. Ich denke, die „Störungen“ sind feiner, weniger deutlich und eben erst später oder mit großer Aufmerksamkeit zu entdecken. Insofern vermute ich, dass auch bei den „liebevoll umsorgten“ Kindern, die Du erlebt hast und die nicht damit zurecht kamen, dass ihnen Übles widerfahren ist, eine feinere Störung der frühen Mutter-Kind-Beziehung vorgelegen hat oder vorliegt. Was Du beschreibst spricht dafür, dass sich hier die Beziehung auch zu sehr um die Bedürfnisse der Mutter gedreht hat, die ihr Kind nicht ausreichend auf die Welt vorbereitet und losgelassen hat. Aber das ist nur eine Hypothese aus der Ferne :-)
      Nochmals Danke für Deine lieben Wünsche und Dir auch alles Gute :-)

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.