Vom Wert angeordneter Pausen

 

Kennst Du die Werbung: „Morgens halb zehn in Deutschland…“? Halb zehn ist die übliche Zeit für eine Frühstückspause.

Die Zeiten, in denen die Uhr uns vorgeschrieben hat, wann wir Pause zu machen haben, sind nach meinem Eindruck schon lange vorbei. Flexibilität ist das Zauberwort, man will seinen „Flow“ ja auch nicht unterbrechen lassen, immer produktiv sein, effektiv sein… Niemand soll mir vorschreiben, wann ich eine Pause zu machen habe. Vielleicht arbeite ich auch lieber durch und mache dann früher Schuss?

Selbstbestimmung und Freiheit sind hohe Werte, gerade und vor allem in der Arbeitswelt. Ich habe aber eine Erfahrung gemacht, die mich die andere Seite der Medaillie gelehrt hat…

„Wenn ich liebe, was ich tue, brauche ich nie mehr zu arbeiten!“

Ein wichtiger Satz! Er bedeutet, dass ich mich damit auseinandersetzen muss, ob das, was ich tue, auch das ist, was ich tun WILL! Er hilft mir, Sinn zu finden in dem, was ich tue und läßt mich meine Leidenschaft leben. Im günstigsten Fall komme ich in einen „Flow“. Ich vergesse alles um mich herum und gehe ganz in meiner Tätigkeit auf. Die „Glücksforschung“ betätigt, das das Momente sind, in denen wir „gesund“ sind und werden. Eine Flut positiver Hormone durch strömt unseren Körper.

Aber wenn ich liebe, was ich tue und deshalb „nie mehr arbeite“, brauche ich dann auch keine Pausen? Im Gegenteil! Ich will mehr von dem, was ich liebe und noch effektiver, noch produktiver, noch erfolgreicher werden. Pausen halten mich nur auf… Und überhaupt, ich liebe meine Freiheit und wer soll mir schon vorgeben, wann und warum ich eine Pause zu machen habe? Meine To-Do-Liste ist lang und es stehen ja nur Dinge darauf, die ich auch liebe :-)

Angeordnete Pause versus freie Arbeitszeitgestaltung

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das war, als in der Einrichtung, in der ich arbeite, ein elektronisches Zeiterfassungssystem eingeführt wurde. Als Sozialpädagoge in der Jugendhilfe war es bis zu dieser Zeit gut möglich, seine Arbeitszeit selbst zu wählen und einzuteilen. Es sei denn, feste Dienstpläne oder Öffnungszeiten von Einrichtungen gaben einen Rahmen vor. Aber auch innerhalb solcher Rahmen konnte man dann den Rest relativ frei verteilen bzw. einteilen.

Das größte Problem bei der Einführung der elektronischen Zeiterfassung war nicht das Gefühl der Kontrolle oder der Eindruck, jetzt zu bestimmten Zeiten anfangen zu müssen… Nein, das größte Problem war, das das Programm ganz automatisch Pausenzeiten zur Arbeitszeit dazu zählte. Wie das Tarifrecht es vorsieht, bei einem vollen Arbeitstag 45 Minuten Pause. Viele KollegInnen fühlten sich plötzlich gezwungen, Pausen zu machen. Dankbar war niemand für die zugebilligten Pausenzeiten. Die meisten fühlten sich fremd bestimmt und ihrer Freiheit beraubt.

Nichts-Tun als Wert

Dazu kommt, dass wir auch in Pausen dazu aufgefordert sind, sie zu nutzen. Aktive Erholung, heisst das Stichwort. Einfaches Nichtstun, Faulenzen, Ausruhen oder (neudeutsch:) chillen ist unangemessen. Entweder ist das ein Zeichen dafür, dass Du Dich vorher übernommen hast oder eben nicht das tust, was Du liebst (sonst wärest Du ja nicht so ausgelaugt). Oder es ist ein Zeichen dafür, dass Du noch nicht gelernt hast, wie man sich aktiv erholt und regeneriert. Du tust nichts aktiv für Dich, füllst Deinen Akku nicht aktiv auf… Du guckst nur Löcher in die Luft… das ist unproduktiv und ineffektiv…

Ich muss für mich zugeben, dass ich diese Sichtweisen sehr verinnerlicht habe. Ich gehöre zu denen, die das Glück haben, sich die Arbeit selbst einteilen und auch inhaltlich weitestgehend selbst bestimmen zu können. Ich kann also dafür sorgen, dass ich zu einem großen Teil meine Zeit mit dem verbringen kann, was ich liebe. Das führt dann aber auch oft dazu, dass ich keine Pausen mache. Schnell noch das bisschen Frühstück auf der Fahrt zur Arbeit und auf der Arbeit noch schnell das Brötchen am PC, statt einer Mittagspause. Die hält nur auf. Und obwohl ich die meiste Zeit mit dem verbringe, was ich liebe, bin ich dann am späten Nachmittag, wenn ich nach Hause fahre, müde und kaputt… Wie kann das sein? Was mache ich falsch? Ich liebe doch, was ich tue??

Pausen-Erfahrung

An einem der letzten Wochenenden bekam ich eine recht unvermittelte Antwort darauf.

Wir sind zur Zeit dabei, den Garten umzugestalten und haben deshalb an den Wochenenden immer viel im Garten zu tun. Zum Teil schwere, körperliche Arbeit, weil der Boden stark verwurzelt ist und Pflanzen umgesetzt werden müssen usw. Ich würde nicht sagen, dass ich diese Arbeit liebe, aber sie ist eine gute Abwechslung zu meiner sonst eher „Kopf-Arbeit“ und bringt so einen guten Ausgleich und „erdet“ mich wieder.

An einem Samstag Mittag, als ich gerade so gut bei der Sache war und voller Elan den Spaten schwang, meinte meine Frau: „Ich mache erstmal Pause, ich muss was essen.“ Hmm, dachte ich, eigentlich ist bei mir grad keine Pause dran. Bin gut im Schwung und könnte das jetzt auch erst gut zuende machen. Hätte ich auch machen können, weil es bei uns keine Regel gibt, dass wir nur gleichzeitig Pause machen. Aber irgendwie war mir dann doch danach, mit ihr zusammen Pause zu machen als alleine.

Es war also eher eine „angeordnete“ Pause.

Interessant und für mich völlig verblüffend war aber, dann meine Wahrnehmung. Obwohl ich mich kurz vor der Pause noch frisch und leistungsfähig gefühlt hatte, fühlte ich mich zu Beginn der Pause (sobald ich mich dazu entschieden hatte) erschöpft und vollkommen Pausen-reif. Hier schmerzte ein Muskel, da zwickte ein Gelenk und überhaupt war ich ganz schön platt… DAS hatte ich vorher garnicht gemerkt…

Erkenntnis

Ich scheine also einen „Mechanismus“ zu haben, der die hilfreichen Anzeichen für eine notwendige Pause wärend der Arbeit so lange unterdrückt, bis es garnicht mehr geht. Meine Wahrnehmung „schaltet um“ von der Selbstwahrnehmung auf die Wahrnehmung für die Aufgabe oder das anstehende Ziel. Erholungszeiten rücken da in den Hintergrund.

Im Sinne der Effektivität ist das sicherlich hilfeich. Auf lange Sicht leidet aber die Lebensqualität.

Auch wenn ich sicherlich persönlich einiges dafür mitbringe, dieses Muster zu entwickeln, denke ich, dass es vielen Menschen ähnlich geht.

Andere „Zwangspausen“

Da gerade Ostern ist, während ich dies schreibe, denke ich da natürlich zuerst an Feiertage. Auch wenn alle Menschen es geniessen, an diesen Tagen „frei“ zu haben, möchte sich doch niemand zu sehr vorschreiben lassen, was an diesen Tagen zu tun ist und was nicht. Und wer „selbstständig“ ist, liebt sowieso was er tut und tut dies „ständig“, auch an Feiertagen :-)

Ich denke auch an das alte „Sonntags-Gebot“ aus er Bibel. Am siebtem Tag sollst Du ruhen. Ich finde dieses Gebot inzwischen viel wichtiger als Tarifrechtliche Bestimmungen und die Sorge, dass wir in Zukunft immer und rund um die Uhr arbeiten (müssen). Von allen Seiten wird auch gesellschaftlich daran „gekratzt“, auch wenn es nur um die Verkausfoffenen Sonntage geht.

Ich bin nicht für Dogmatik und gesellschaftlichen oder religiösen Druck und möchte hier auch der Unfreiheit nicht das Wort oder die Zustimmung geben. Aber manchmal verwehrt der Blick auf die Freiheit den Blick auf die positiven Wirkungen solcher Regeln oder Gebote. Einen Tag in der Woche zu haben für die eigene Besinnung, für das zu sich kommen, das Ankommen bei sich selbst und auch die Anbindung an die eigene Spiritualität wieder zu finden. Du magst jetzt vielleicht sagen, aber das will ich selber bestimmen, an welchem Tag in der Woche das für mich dran ist. Ja, aber es ist einfacher das zu tun, wenn es alle anderen auch tun bzw. wenn die gesamte Gesellschaft dann „ruht“.

Denn ganz zum Schluss, wenn wir alle diese Regeln missachten, wird uns der Körper darauf aufmerksam machen, dass wir eine Pause brauchen. Und das wird er um so deutlicher tun, um so mehr wir seine Signale vorher ignorieren. Das können dann viel gravierendere Zwangspausen werden…

Also, lass es nicht soweit kommen und lege regelmäßige Pausenzeiten fest, an die Du Dich dann auch hälst. Egal, wie sehr Du liebst, was Du tust.

angeordnete Pause

 

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